Text zur Podcast-Folge 61, verfasst von Ismahan El-Alaoui
Habt ihr schon einmal von „Hodenbaden“, „Verhütungsunterhosen“ und dem „Bimek SLV“ gehört? - Nein?! Ehrlich gesagt, ich auch nicht. Dabei gab es schon unzählige Gespräche mit Freund*innen darüber, warum es eigentlich immer noch keine geeigneten Verhütungsmethoden für Menschen mit Penis gibt, Antworten darauf aber leider dafür sehr selten.
In dieser Folge sprechen Magdalena und Blu Doppe, Sexualpädagog*in & machtkritische Bildungsreferent*in, auch unter dem Namen „Queer_Topia“ bekannt, genau darüber:
Gibt es sichere Methoden? Wenn ja, warum sind diese nicht längst schon auf dem Markt und was hat unser Blick auf „Männlichkeit“ damit zu tun?
Ihr Lieben, macht´s euch gemütlich, hört in die neue Folge rein und genießt- Es lohnt sich! Übrigens: Am Ende des Beitrags findet ihr noch die Links, die euch direkt zu Blu und die tolle Arbeit, die Blu macht.
Viele von uns haben sicherlich schon einmal von der „Antibabypille“, einer Kupferkette, dem Diaphragma, einem Hormonpflaster und vielen weiteren Verhütungsmethoden für Menschen mit Uterus gehört und/oder auch schon einmal selbst Erfahrungen mit ihnen gesammelt. Vielleicht haben Menschen mit Uterus das Gefühl ausreichend Möglichkeiten zu haben, um selbstbestimmt über die eigene Verhütung bestimmen zu können. Doch was ist, wenn ich als Mensch mit Uterus diese Aufgabe abgeben möchte oder diese vielleicht auch teilen möchte. Wie selbstbestimmt können Menschen mit Penis darüber aktiv entscheiden, in einem Moment „fruchtbar“ und in einem anderen Moment „nicht fruchtbar“ sein zu wollen?!
Vorherrschendes Verständnis von „Männlichkeit“
Die Frage, warum noch immer öffentlich kaum ein Diskurs darüber stattfindet, Menschen mit Penis (mehr) Möglichkeiten anzubieten, selbstbestimmt über die eigene Verhütungsmethode zu entscheiden, kann mitunter an einem fragwürdigen und unkritischen Blick auf „Männlichkeit“ liegen:
Es kursieren hartnäckig nach wie vor viele Ängste und Befürchtungen, die Menschen daran hindern, sich mit der eigenen Verhütung auseinanderzusetzen und sie politisch einzufordern. Selbstbestimmtheit wird hier noch oft als Abgabe von vermeintlichen Privilegien und Machtmechanismen bewertet: Die Angst vor Potenzverlust, die Sorge als „unmännlich“ zu wirken, da Verhütung noch häufig als „weiblich“ angesehen wird, ist groß. Gleichzeitig werden Eigenschaften, die wir als Gesellschaft vorgeben und festigen weiter in Sätzen wie „Männer“ seien schmerzängstlicher, unzuverlässiger und verantwortungsloser reproduziert. Diese vermeintlichen Eigenschaften verfestigen sich weiterführend in Argumenten wie, einerseits nicht in der Lage zu sein, Nebenwirkungen oder Hormonspritzen zu „ertragen“ und andererseits es nicht zu schaffen in einem regelmäßigen Abstand Verhütungsprodukte anzuwenden oder einzunehmen.
Auch hält sich die patriarchalische Vorstellung, dass Samenzellen einfach viel schwieriger zu „bändigen seien als die Eizelle und damit auch das Stereotyp von „starken Männern“ im Gegensatz zum Stereotyp der „schwachen, zarten Frau“. Dies führt dazu, dass jene Stereotypen in medizinischen und wissenschaftlichen Kontexten mit einfließen: Starkes Spermium versus zartes „Eizellchen“.
Gleichzeitig wird an dieser Stelle noch einmal mehr deutlich, welchen Blick wir gesamtgesellschaftlich auf Körper mit Uteri haben und wie wir sie bewerten: Nämlich als etwas weniger Schützenswertes als weiße cis-männliche Körper.
Kondome, Vasektomie und Coitus Interruptus- gibt es da noch mehr?! (please...!)
Doch wie sieht es denn nun tatsächlich mit Verhütungsalternativen aus?
Fast alle denken vermutlich bei Verhütungsmethoden für Menschen mit Penis sofort an Kondome, Vasektomie und eventuell auch an Coitus Interruptus. (Tipp: Letztgenanntes ist nicht zu empfehlen) Kondome dagegen in doppelter Hinsicht: Sie bieten in der Regel einen weitestgehend vollumfänglichen Schutz, sowohl um Schwangerschaften zu vermeiden als auch vor sogenannten STI´s zu schützen - Infektionen, die sexuell übertragbar sind.
Eine Vasektomie kann auch eine Methode sein, um Schwangerschaften zu vermeiden. Dabei werden operativ die Samenleiter durchtrennt. Es besteht zwar die Möglichkeit diesen Eingriff rückgängig zu machen, es kann aber durchaus auch vorkommen, dass dieser Vorgang irreversibel bleibt. Zudem sind diese Eingriffe auch sehr, sehr teuer.
Abschließend wäre da noch Coitus Interruptus (das vorzeitige Herausziehen des Penis, um Samenerguss in der Vagina zu vermeiden.) Hört sich unsicher an, ist es in der Regel auch.
Hodenbaden, Vasalgel, Bimek SLV, Verhütungsunterhose
Es gibt sie tatsächlich- Alternativen zu Kondom und Vasektomie. Folgende könnten zukünftig dafür sorgen, dass Menschen mit Penis jederzeit selbstbestimmt und gleichberechtigt entscheiden, ob sie aktiv eine Entstehung einer Schwangerschaft mitgestalten wollen.
Eine Methode, die wirklich vielsprechend klingt, ist die des Implantierens eines sogenannten „Bimek SLV“. Es handelt sich dabei um ein Samenleiterventil, mit dem selbstbestimmt durch einen Schalter der Spermienfluss unterbrochen werden kann. Dieses Ventil ist nur gummibärchengroß und soll nicht spürbar sein. Es funktioniert mechanisch: Ist das Ventil offen, können die Spermien durchfließen, ist es geschlossen werden sie seitlich abgeleitet. Auch mit Ventil hat Mensch eine Ejakulation, aber ohne Spermien. Die abgeleitete Spermienflüssigkeit fließt in die Hoden und dort werden sie „biologisch“ abgebaut ☺.
Neben dem Samenleiterventil gibt es auch Verhütungsunterhosen. Diese wurden von einem französischen Verhütungskollektiv namens „Thomma Boulou“ entwickelt. Dabei werden die Hoden in den Leistenkanal geschoben und erwärmt. Dadurch fällt die Spermienproduktion aus. Weiterhin gibt es das Vasalgel, an dem noch immer geforscht wird und bislang noch nicht zugelassen ist. Das Gel wird in den Samenleiter injiziert, dort bildet sich eine Art weiches Hydrogel, das wie eine Art Barriere wirkt. Es soll schmerzfrei sein und bis zu 10 Jahren wirksam sein.
Neben all diesen Methoden, wurde auch immer mal wieder an der Hormonpille für Menschen mit Penis geforscht. Studien belegen, dass sie genauso wirksam ist wie die Antibabypille und in etwa dieselben Nebenwirkungen verursachen. Es wird vermutet, dass neben den Geschlechterklichees auch vor allem wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen und somit die Verbreitung und Produktion an vielfältigeren Verhütungsmethoden verhindert werden.
Denn mittlerweile ist die Pille für Menschen mit Uterus einfach herzustellen und die Pharmaindustrie erzielt hohe finanzielle Erträge, sodass sich der Aufwand einer anderen Pille zumindest wirtschaftlich nicht lohnt.
Schließlich kann das auch eines der vielleicht aussagekräftigsten Argumente sein, warum Konzerne und Pharmaindustrie kein Interesse an der Verbreitung von anderen Verhütungsmethoden interessiert sind. Es ist schlichtweg nicht rentabel! Verhütungsunterhosen, Vasalgel und Samenleiterventil sind Methoden, die ganz selten durchgeführt werden müssen bzw. einen einmaligen Kauf benötigen.
Vielleicht habt ihr jetzt Lust und Freude daran, diese Dinge auszuprobieren. Wundervoll wäre es, wenn Menschen jetzt noch mehr Spaß daran haben, sich mehr zu informieren und sich untereinander auszutauschen, denn so wird der einen oder anderen Person vielleicht noch stärker bewusst, dass sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung ein unabdingbares Recht ist, für das es sich lohnt zu kämpfen.
In diesem Sinne, hört euch die Folge an und dann im besten Falle:
„Empört euch!“ Leistet Widerstand, lasst uns zusammenschließen und dafür kämpfen!
Über Blu
Blu Doppe ist Bildungsreferent_in, Antidiskriminierungs- und Diversity-Trainer_in, Sexualpädagog_in sowie Trainer_in für Theater der Unterdrückten. Blu gibt seit 6 Jahren (Online-) Workshops zu verschiedensten queer_feministischen Themen meist unter dem Namen queer_topia*. Arbeitsschwerpunkte sind u.a. Männlichkeiten, sexuelle, amouröse und geschlechtliche Vielfalt, Sexualität und Geschlechterrollen. Weitere Informationen unter queertopia.blogsport.de, bei Instagram & Facebook: queer_topia.
Über Ismahan El-Alaoui
Hi, ich bin Ismahan und lebe mit meinen fünfjährigen Zwillingen in Berlin. Ich habe lange Kulturwissenschaften studiert, dann erfolgreich abgebrochen- in den letzten Jahren immer mal wieder an verschiedensten Projekten mitwirken dürfen. Derzeit bin ich Mitglied im Betroffenenrat beim Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs und schon bald in Weiterbildung zum:zur Sexualpädagog:in, auf die ich mich schon unfassbar freue! Meine Herzensthemen sind sexuelle Bildung, Kinderschutz und intersektionaler Feminismus. Ansonsten würde ich mich als witzig, zugewandt und super neugierig beschreiben. Ich bin gut darin, Menschen einfühlsam und mitfühlend zu begegnen. Wenn ich ein Kondom- oder Lecktuch/Gleitgelsorte wäre, dann würde ich immer so geschmacksneutral wie möglich wählen, weil ich´s unverfälscht und ehrlich mag. Mein instagram-account ist: lola_oui und meine Betroffenenratsseite UBSKM diese hier: https://beauftragter-missbrauch.de/betroffenenrat/der-betroffenenrat#e23774
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