Ein Text von Luna Malin
In Podcast Folge 34 wird der riesige Themenbereich „Sprache und Sexualität“ ergründet, und das nicht von Magdalena (sie/ihr) allein. Auch diesmal gibt es wieder zwei ganz besondere Gäst*innen, und zwar das Team Intim, bestehend aus Noa (er/ihm/keine Pronomen) und Lina (sie*/ihr*/keine Pronomen). Beide haben bereits in einem feministischen Kunstkollektiv zusammengearbeitet und vor rund zwei Jahren ihr eigenes Projekt gegründet: glitterclit.
Klitorismodelle und Kuschelvulven
Das Projekt lässt sich zwischen feministischem Aktivismus und sexueller Bildung verorten – aber auch der künstlerische Aspekt kommt nicht zu kurz. Denn bei glitterclit können Menschen verschiedene Klitoris- und Vulvina-Modelle aus Stoff erwerben. Diese haben sogar ihre eigenen Namen, so gibt es die Vulva Viola und die Klitoris Doris. Magdalena ist davon mehr als überzeugt - nicht nur wegen des glitzernden Stoffes. Ihr gefallen die Stoff-Vulven, weil sie das Lernen mit verschiedenen Sinnesebenen ermöglichen, einen niedrigschwelligen Zugang bieten und auch noch waschbar sind. Noa erklärt, wie die Idee für glitterclit entstand: So waren Noa und Lina bereits früher ehrenamtlich in der sexuellen Bildung aktiv. Dort hätten sie gern mit Vulva- und Klitoris-Modellen gearbeitet, doch es gab kaum Auswahl. Kurzum entschlossen sie ihre eigenen Modelle herzustellen. Die Stoff-Vulven sind im Online-Shop von glitterclit erhältlich: https://www.glitterclit.com/shop/
Pronomen sind etwas Individuelles
Für einen direkten Einstieg ins Thema fragt Magdalena die Gäst*innen nach den Pronomen, mit denen sie gerne angesprochen werden möchten. Noa und Lina ist es beiden am liebsten, das Pronomen einfach wegzulassen und mit dem Namen angesprochen zu werden. Lina erklärt, was dahintersteckt: Im Deutschen gebe es kein geschlechtsneutrales Pronomen, wie beispielsweise das englische they. Kein Pronomen zu verwenden, käme dabei einer Übersetzung am nächsten. Noa ergänzt, dass es das Pronomen es gibt, das jedoch negativ konnotiert ist und leider oft als Beleidigung gesehen wird. Manche Menschen benutzen jedoch es für sich selbst – und auch das sei total legitim und ein Versuch, die Konnotation umzudeuten. So konnte sich auch der Begriff queer in den letzten Jahren von einer Beleidigung zu einem positiven Begriff verändern. „Sprache ist wandelbar“, fasst Lina zusammen.
Meine Vulva ist keine Scheide!
Welche Begriffe eine Person am liebsten benutzt, hängt vom jeweiligen Kontext ab. So nutzt Magdalena unterschiedliche Begriffe, je nachdem mit welchen Gruppen und Altersklassen sie zusammenarbeitet. Auch gibt es Begriffe, die sie am liebsten gar nicht mehr verwendet – das sehen die Gäst*innen ganz ähnlich. Noa kritisiert, dass häufig Vagina gesagt, wenn jedoch Vulva gemeint wird. Lina nutzt den Begriff Scheide nicht mehr, da dieser für Lina sofort die Assoziation des Hineinsteckens eines Schwerts hervorruft. Von diesem patriarchalen Blick auf weiblich gelesene intime Anatomie möchte Lina sich lösen. Magdalena benutzt den Begriff Scheide noch, wenn sie mit Kindern zusammenarbeitet, damit diese wissen, was gemeint ist. Noch lieber sagt Magdalena aber einfach Muskelschlauch.
Warum der Kopf nicht in die Mütze eindringt
Ein weiterer Begriff, den die Gäst*innen ablehnen, ist Vorspiel. Dieser stellt eine Hierarchie auf: Es gibt das eine Ziel, und zwar den eigentlichen Sex (der meist als Penetration verstanden wird) und das „unbedeutende“ Vorher, das sogenannte Vorspiel. Lina ist der Meinung, dies sei gewaltvoll und ein sehr heteronormativer Blick auf Körper, Sexualität und Lust. Magdalena erklärt, dass sie immer bewusst auf ihre Wortwahl achtet und statt dem gewaltvollen „Penis dringt in Vagina ein“ lieber „Vagina nimmt Penis auf“ sagt. In dieser Formulierung schwingt etwas Aktives für die Person mit Vulva mit. Lachend veranschaulicht Noa das mit einem absurden Beispiel: Niemand würde sagen, dass der Kopf in die Mütze eindringt, sondern stattdessen, dass die Mütze über den Kopf gezogen wird.
Jede*r definiert selbst, was Sex ist
Auch queere Perspektiven müssen in der sexuellen Bildung mitgedacht werden. Magdalena erinnert daran, dass Sex viel mehr ist, als nur „Vagina nimmt Penis auf“. Für Sex braucht es keinen steifen Penis. Auch kann jede*r für sich selbst definieren, was Sex und was Geschlecht ist. Geschlecht ist nämlich mehr als nur der Intimbereich. Magdalena betont, dass Genitalien auch per se nichts Sexuelles sind, sondern der Kontext entscheidend ist. Lina kritisiert den Begriff Geschlechtsverkehr. „Sex oder Intimität muss ja gar nicht unbedingt etwas damit zu tun haben, was für ‘n Geschlecht ich habe“. Magdalena benutzt in ihrer Arbeit manchmal den Begriff Geschlechtsverkehr, da ihr die Verknüpfung gefällt. Sie kann damit erklären, dass es beim Geschlechtsverkehr ähnlich wie im Straßenverkehr gewisse Regeln, Stoppschilder oder Ampeln gibt.
„Die Pinkelbüsche aneinander dopsen“
Magdalena stellt eine sexualpädagogische Methode vor, die sie gerne mit Jugendlichen macht. Dabei sollen sich möglichst viele Begriffe für Vulva, Penis und Sex überlegt werden. So können die Jugendlichen mit ihren eigenen Begriffen kommunizieren und diese auch kritisch hinterfragen. Alle drei sind sich einig: Jede Person sollte die Begriffe für sich verwenden, die er*sie mag – das heißt aber nicht, dass diese Begriffe auch für andere Menschen okay sind. Gleiches gilt für Pronomen. Magdalena hat inzwischen eine Liste mit mehr als 150 Begriffen für Sex. Was bei allen drei zu Lachern führt, ist die abstruse Umschreibung „die Pinkelbüsche aneinander dopsen“. Für Magdalena ist es ganz wichtig, auch über sich selbst oder über Begriffe lachen zu können: „Humor ist ein unglaublich mächtiges Mittel, um in Bildungskontexten Reflexionsprozesse anzuregen!“ Lina erklärt eine weitere sexualpädagogische Methode: das Pizza-Spiel. Hier geht es darum, jungen Menschen Konsens beizubringen. Jede Person belegt sich ein Pizzastück und sucht dann jemanden, mit dem er*sie Pizza backen möchte. Die Erkenntnis: Manchmal passt es einfach nicht, manchmal wird ein Kompromiss gefunden und manchmal ist es auch völlig okay, keine Pizza zu backen.
Muss man sich überhaupt einem Geschlecht zuordnen?
Als Abschlussfrage wird diskutiert, ob es in Workshops manchmal sinnvoll ist, die Schüler*innen in Jungs und Mädchen zu unterteilen. Lina ist eigentlich gegen diese binäre Geschlechtsteilung, die bestimmte Menschen ausschließt, versteht aber auch, dass ein Raum für private Fragen wichtig ist. Magdalena gibt den Schüler*innen gern frei, in welche Gruppe sie lieber gehen möchten. Am wichtigsten ist ihr, dass letztendlich alle Themen noch einmal mit der ganzen Gruppe geteilt werden. „Kein einziges Thema würde ich nur auf ein Geschlecht beziehen.“ Schließlich entscheiden nicht deine Genitalien darüber, zu welchem Geschlecht du dich selbst zuordnest – wenn du dich überhaupt einem Geschlecht zuordnest. Genderrollen sind in unserer Gesellschaft stark verankert. Noa empfindet das manchmal auch als hilfreich, beispielsweise um die eigene Identität zu stabilisieren und leichter zum Ausdruck zu bringen. Manchmal ist das aber auch problematisch, denn weibliche Attribute werden immer noch abgewertet. Linas Wunsch: „Wir bräuchten viel mehr Räume, die noch mehr auf Bedürfnisse und Identitäten angepasst sind“.
Sprache erzeugt Wirklichkeit
Zum Ende der Folge geben beide Gäst*innen noch ihr Schlusswort. Noa weist daraufhin, wie sehr Sprache unser Handeln beeinflusst: „Sprache prägt unsere Denkweise, und was wir denken, entscheidet darüber, wie wir handeln.“ Lina ergänzt, dass nicht nur das Sprechen, sondern auch das Zuhören wichtig ist, um in einen Dialog zu treten.
Für die Menschen, die sich gerne mehr mit den Begriffen Penetration und Circlusion beschäftigen möchten, empfiehlt Lina den Artikel „Come on“ von Bini Adamczak aus dem Missy Magazine: https://missy-magazine.de/blog/2016/03/08/come-on/
Ich bin Luna Malin (she/her), Bloggerin, queere Feministin und ein absoluter Büchermensch. Und mein Motto lautet "be the reason someone feels seen, heard and supported". Auf meinem Instagram-Kanal findest du mehr: lebens.betrunken.
Comments