Artikel zur Folge 13 "Das Jungfernhäutchen gibt es nicht" des sexOlogisch Podcast
zusammengefasst von Isabel Petergrün vom Blog "Offener Zweier"
In dieser Folge lädt sich Sexualpädagogin Magdalena, Oliwia Hälterlein ein. Diese ist u.a. Kultur – und Literaturwissenschaftlerin und beschäftigt sich mit allerlei Themen zwischen Feminismus und Kunst. Heute spricht sie mit Magdalena über ihr veröffentlichtes Essay mit dem spannenden Titel „Das Jungfernhäutchen gibt es nicht“.
Vom Mythos eines Körperteils, den es so gar nicht gibt.
Kennen wir alle nicht die Geschichten um das Erste Mal? Da ist dieses Häutchen in der Vagina, dass beim ersten Geschlechtsverkehr mit einem Penis reißt. Den Erzählungen nach soll es leicht schmerzen und bluten. Junge Mädchen erzählen sich aber auch, es sei gerissen beim Tanzen, Turnen oder Reiten.
Doch das ist alles an den „Scham“-Haaren herbeigezogen
(Wo dieser Begriff herkommt, sei ggf. auch noch zu klären).
Es gibt zwar eine Schleimhaut in der Vagina, allerdings hat diese nichts mit dem zu tun, was sich die Menschen seit Jahrhunderten erzählen. Während diese Schleimhaut in Wirklichkeit gar keine nachgewiesene Funktion hat, legt ihr Mythos jedoch den Grundstein für unser sexuelles Denken.
Es geht um das Indiz, ob eine Person mit Vulva schon mal Sex hatte.
Es geht um die Selbstbestimmung des eigenen Körpers.
Es geht darum, wann Sex eigentlich Sex ist.
Bereits der Name macht Probleme
Es ist verständlich, dass der Name „Jungfernhäutchen“, bei denen die es besser wissen, zu Schüttelfrost und Brechreiz führt. Doch wie benennt man diesen Teil, den die Menschheit nur unter einem Wort kennt, dass ein Indiz dafür gibt, ob man schon mal Sex hatte? Bekannt ist auch das Wort Hymen. Mit dessen Ursprung vom Hochzeitsgott Hymenaios ist dieses allerdings auch kein guter Ersatz. Passender wäre Schleimhautkranz oder Vaginalcorona (lat. für Kranz oder Krone). Dennoch ist keines dieser Häutchen gleich. Und so ist es generell schwierig, einen Begriff zu verwenden der das Aussehen verallgemeinert.
Alle Vaginaleingänge sind verschieden, doch verschlossen sind sie so gut wie nie (1 von 5000 Fällen).
Die Zeichnungen in Oliwias Essay stammen von Aisha Franz. Sie verdeutlichen auf spielerische Weise, dass Schleimhaut nicht gleich Schleimhaut ist und bereits hier Diversity beginnt. Wie bei Ohren, Mund und Nase gibt es auch bei der Schleimhaut im Vaginaleingang keine Norm, die sagt wie so etwas aussehen muss. Häufig handelt es sich um einen kleinen Kreis, der z. T. etwas fransig und ungleichmäßig ist. Beschaffenheit, Dicke und Rotton variieren dabei von Häutchen zu Häutchen.
(Quelle: Aisha Franz / Oliwia Hälterlein)
Dennoch ist diesen ganzen Formen bis auf wenige eines gemein: SIE VERSCHLIESSEN DEN VAGINALEINGANG NICHT. Dies wäre auch nicht von der Natur gewollt, sondern gesundheitsgefährdend. Denn wo etwas verschlossen ist, können Flüssigkeiten wie Sekret und Blut nicht abfließen. Wenn es tatsächlich Menschen gibt, deren Häutchen sich über den Vaginaleingang spannt oder diesen sogar verschließt, so handelt es sich um Einzelfälle die z.T. operativ behoben werden müssen. In vielen Köpfen werden diese Einzelfälle jedoch als Norm gesehen. „Völlig absurd“ meinen auch Oliwia und Magdalena.
Auf der Suche nach dem eigenen Schleimhautkranz
Doch was trage ich genau in mir und wo finde ich es?
Unsere Vagina ist ein Schlauch der ausgelegt ist mit Schleimhäuten. Wenn ich mich breitbeinig mit einem Handspiegel bewaffnet auf mein Bett setzte, sehe ich 1,2-3 cm tief eine Art Kranz, Falten oder Fransen. Doch es ist gar nicht wichtig über genau diese Schleimhaut zu sprechen. Es ist wichtig, dass ich meinen eigenen Körper kennenlerne und weiß, dass diese Schleimhaut gar keine Funktion hat, welche mich als Mensch mit Vagina begrenzt, wie es seit hunderten von Jahren dennoch weitergetragen wird.
Der Gefährliche Mythos um eine eigentlich nichtssagende Schleimhaut
Der Mythos, dass das sogenannte Jungfernhäutchen Auskunft über die sexuelle Aktivität einer Frau gibt, ist tief in vielen Köpfen verankert. Wann der Begriff das erste Mal aufkam und warum er noch immer u.a. in Schulen, Büchern und Filmen, weitergetragen wird, weiß niemand. Die Annahme, es gibt ein Häutchen, dass beim ersten penetrativen Kontakt mit einem Penis reißt und blutet, mag noch aus einer Zeit stammen als junge Mädchen mit zumeist älteren Männern verheiratet wurden.
Blut und Schmerz sind hier anatomisch begründet und stammen von einer Verletzung. Das dieser Zustand weiterhin als „normal“ weitergegeben wird, ist nahezu entsetzlich.
Oliwia und Magdalena zeigen während ihres Gesprächs mehrmals ihre Entrüstung. Und auch ich muss mehrmals schlucken, als ich den beiden Frauen zuhöre.
Ungleichgewicht und Doppelmoral
Dem weiblichen Körper wird anhand einer vermeintlichen Schleimhaut zugeschrieben, man könne dessen sexuelle Aktivität von außen erkennen. Der Penis hingegen hat kein Indiz, dass er schon mal „entjungfert“ wurde. Dies führt dazu, dass nur Männern eine sexuelle Selbstbestimmung zugesprochen wird. Sind sie besonders aktiv, werden sie gefeiert. Eine Frau hingegen wird eher als passives Wesen dargestellt. Sie empfängt den Penis und wird durch diesen von ihrer Jungfräulichkeit „erlöst“.
Obgleich es doch eigentlich niemanden angehen sollte wie sexuell aktiv man ist, müssen sich Frauen vielerorts rechtfertigen. Entweder sie hat mit zu vielen Männern geschlafen, oder sie ist immer noch Jungfrau. Das ist dann auch nicht normal.
Ärzt*innen profitieren von den Ängsten von Frauen*
Dieses verschrobene Rollenbild führt dazu, dass junge Frauen nicht selten Angst vor ihrem ersten Mal haben, welches natürlich immer als schmerzhaft dargestellt wird. Darüber hinaus gibt es aber auch viele Frauen die Angst davor haben nicht zu bluten. Sie bangen z.T. um ihr Leben. Anstatt selbst über ihren Körper bestimmen zu können, greifen sie zu künstlichen Blutkapseln oder wählen den Gang zum Chirurgen.
Dieser formt dann ein Häutchen welches es eigentlich gar nicht gibt und so eng ist, dass es beim Verkehr reißen und schmerzen muss. Aber eine Garantie dafür, dass es tatsächlich blutet, gibt es auch hier nicht.
Die Folgen für Körperwahrnehmung und Sexualität
Dies alles gibt Sexualität, die eigentlich schön sein sollte, einen herben Beigeschmack. Viele Frauen werden in ihrer Körperwahrnehmung gehemmt und haben mit Unsicherheiten zu kämpfen. Männer hingegen werden in ihrer sexuellen Überlegenheit gestärkt.
Das Thema „Jungfernhäutchen“ sorgt darüber hinaus für Schubladendenken was Sex eigentlich ist.
Ist es ausschließlich die heteronormative Verbindung zwischen Vagina und Penis?
Haben dann zwei Vulven oder zwei Penisse nie Sex?
Wann man Berührungen als Sex betitelt, sei es Oralverkehr oder Masturbation nebeneinander, sollte doch eigentlich jeder für sich selbst entscheiden können, oder? Stattdessen denken Personen, die nicht auf diese eine Art „Liebe machen“ sie wären nicht normal. Das kann es doch auch nicht sein?!
Wir brauchen eine offene Gesellschaft und einen Handspiegel
Ich höre dem Podcast von Magdalena und Oliwia gebannt zu. Dabei klären sie nicht nur auf, sie geben auch eine Lösung für das Problem mit:
Statt sich über einen Jahrhunderte alten Mythos zu unterhalten und diesen immer weiter zu tragen, ist es wichtig, dass wir frei und selbstbestimmt über unsere Sexualität sprechen. Ein vielfältiges Bild von Sexualität und Körper muss von Beginn nahegebracht werden.
So sollten Ärzt*innen und Schulen aufklären und Körperteile richtig betiteln. Menschen mit verschiedenen Erfahrungen und verschiedener sexueller Orientierung sollten Bücher schreiben, Filme drehen. Jedem Menschen muss das Gefühl vermittelt werden: „Du bist als sexuelles Wesen genauso gut wie du bist, egal wie deine Schleimhaut aussieht und wie, wie oft und mit wem du sexuell aktiv ist bist.“
Den Anfang dazu kann jede Person mit einer Vulva machen. Sie braucht nur einen Taschenspiegel 😊
Erzählt die frohe Botschaft euren Müttern, Schwestern, Freund*innen: Das Jungfernhäutchen gibt es nicht!
Hört euch gerne Podcastfolge 13 nochmal an und lest das wunderbare Essay „Das Jungfernhäutchen gibt es nicht“ von Oliwia Hälterlein.
Danke Magdalena und Oliwia für diese wunderbar lehrreiche Folge.
Über Isabel Petergrün vom Offenen Zweier
Isabel ist Bloggerin aus der LGBTIQ (Lesbian, Gay, Bisexuell, Trans, Intersexuell, Queer)-Szene bzw. dem „queeren“ Bereich. Sie und ihr Partner Tom leben von Beginn an in einer offenen Beziehung und fühlen sich beide zu beiden Geschlechtern hingezogen. Sie haben eine kleine Tochter und leben in zwei Wohnungen auf einer Etage zusammen. Seit 2019 schreiben sie unter einem Pseudonym ihre Erlebnisse und Eindrücke in dem Blog offenerzweier nieder. Ihre Texte dienen neben der eigenen Reflexion auch der Aufklärung und dem Austausch bezüglich alternativer Beziehungsmodelle. Isabel und Tom haben in den Jahren getrennt als auch zusammen verschiedene erotische und sexuelle Erfahrungen gesammelt, welche sie auf kunstvolle Art in ihrem Blog mit anderen teilen. Neben dem Schreiben von Blogtexten und erotischer Literatur, ist Isabels Leidenschaft die Kunst. Ihre Leser*innen begeistert sie mit ihren einfachen, aber auch liebevollen Zeichnungen.
Ich bin eine Frohnatur. Was auch immer kommt ich finde einen Plan B,C und D und sei er noch so wahnwitzig.
Daher würde ich sagen ich bin besonders gut im Sonne anbeten und Wolken vertreiben.
Ich mag vor allem die Vielfalt an Themen rund um Sexualität, Körperwahrnehmung bis hin zu Beziehungsformen und Lebensweisen. Ich hinterfrage gerne kritisch, schaue über den Tellerrand und in die Psyche der Menschen.
Da ich eine gefühlsintensive bunte Künstlerin bin, wäre meine Kondom-Reinkarnation wohl gefühlsecht und farbenfroh. Mich gibt´s hauchdünn in den Farben Flieder, Meeresgrün oder Regenbogen.
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